Indie Label Booklet 2018
INDIE LABELS – DIE LETZTEN IHRER ART
EIN PLÄDOYER FÜR DIE UNABHÄNGIGKEIT
ZEITEN ÄNDERN SICH. Zumeist angestoßen durch technische Entwicklungen entstehen neue Möglichkeiten der Kommunikation, der Interaktion und auch – wie sollte es im Kapitalismus anders sein – der Vermarktung. Diesen Zustand kann und sollte man zuerst einmal neutral bewerten. Gleichzeitig kann man innehalten und darüber nachdenken, was das eigentlich bedeutet, welcher Weg gegangen wurde und welcher Weg uns noch bevorsteht.
Independent Labels gibt es seit Beginn der Schallplatten-produktion. 1952 gründete Max Roach zusammen mit Charles Mingus das Label Debut Records, das vermutlich erste Independent Label in Musikerbesitz und eines der ersten Labels mit sozialkritischem Anspruch. Im Laufe der Zeit kamen mehr und mehr unabhängige Labels dazu, blieben eine Weile und verschwanden auch wieder. Was sie taten, wird selten thematisiert und ist dabei kaum hoch genug anzuerkennen. Sie waren und sind bis heute ein Korrektiv in der Kulturlandschaft.
Die Ermöglichung der Verbreitung von Kunst – oftmals unabhängig von finanziellen Beweggründen – war eine der Aufgaben, der sich viele dieser Labels stellten. Sie schafften in ihren Nischen Künstlerinnen und Künstlern Freiräume, um deren kreatives Potenzial zu entwickeln und einen anderen Blick auf die Gesellschaft zu ermöglichen. Sie stellten der fortschreitenden Monetarisierung ihre »Selbstausbeutung« entgegen. Sie nahmen die Musikschaffenden ernst und
sahen in ihren Werken nicht in erster Linie Gebrauchskunst, deren Zweck es war, Geld einzusammeln, sondern Inhalte zu vermitteln und einen gesellschaftlichen Diskurs zu befeuern.
Natürlich waren das niemals alle Labels bzw. alle Künstlerinnen und Künstler, und natürlich ist man per se auch als Band nicht verdammenswert, wenn der Labelnachbar ein z.B. Volks-Rock-’n’-Roller ist (eigentlich doch, aber man sollte die Tür nicht komplett schließen). Natürlich haben längst schon Algorithmen die Zuordnung potenzieller neuer Lieblingsmusik übernommen, und natürlich wird die Vermittlung von Inhalten bei vielen Bands und Labels dem amerikanischen Traum geopfert. Nichtsdestotrotz kann man all das zum Anlass nehmen sich, ein paar Gedanken zu machen. Die Gesellschaft ist sichtbar nach rechts gerückt, Menschen ersaufen durch staatlich verordnete unterlassene Hilfeleistung. Die Welt brennt an vielen Ecken, und durch das Radio schwirrt »Amore«. Man sollte sich an dieser Stelle daran erinnern, dass es bereits Zeiten gab, in denen Gebrauchskunst einen sehr großen Stellenwert hatte. Und genau hier erfolgt das Plädoyer für die Unabhängigkeit, denn es ist ein Plädoyer für die Vielfalt, die Unterschiedlichkeit und letztendlich für Menschlichkeit. Nicht das Gleiche, sondern die Abweichung lässt uns erkennen, wie interessant, schön und vielfältig diese Welt ist. Dabei bedarf es derer, die ermöglichen, dass diese Botschaft kompromisslos in die Welt getragen wird. Und das sind im Musikbereich zumeist jene Menschen mit den kleinen und feinen unabhängigen Plattenfirmen.
Gregor Samsa / Sounds of Subterrania